Italiens Porträtmaler:
ACHILLE BELTRAME
und die Titelseiten des Magazins „Domenica del Corriere“
Civico Museo Parisi Valle
Eröffnung: Samstag, 5. April 2025, 17.00 Uhr
bis zum 29. Juni 2025
Achille Beltrame (1871-1945) hat noch vor der Verbreitung des Fernsehens das Weltgeschehen in die Häuser der Italiener gebracht. Mit seinen Illustrationen von fernen Ländern, historischen Ereignissen, Helden des Alltags und des Krieges, Kultur und Gebräuchen der Völker, Glück und Tragödien, Glamour, Sport und mondänem Leben hat er wie kein anderer die Fantasie der Italiener beflügelt.
Unermüdlich illustrierte er die Titelseiten und die wichtigsten Nachrichten für den Domenica del Corriere, dem beliebten italienischen Magazin der Tageszeitung Corriere della Sera, von der ersten Ausgabe vom 8. Januar 1899 bis 1944. Jede Woche bebilderte Beltrame die von der Redaktion ausgewählten Schlagzeilen aus Politik, Kultur und Gesellschaft in insgesamt 4662 Darstellungen. Sie umfassen eine Zeitspanne, in der sich die Geschichte in einem Ausmaß beschleunigte, wie es die Menschheit nie zuvor erlebt hatte. Es war Beltrames Mission, die kleinen und großen Ereignisse vom Ende der Belle Époque bis zu den letzten Momenten des Zweiten Weltkriegs für ein breites Publikum zu veranschaulichen.
Seine letzte Illustration stammt vom 26. November 1944, dem Tag der Bombardierung der italienischen Städte durch die Alliierten. Danach übergab er den Staffelstab in der Redaktion vom Domenica del Corriere an einen anderen Meister der italienischen Illustration, seinen Schüler und Mitarbeiter Walter Molino (1915-1997).
Diese kommunikative Leichtigkeit hatte einen traditionsreichen Hintergrund. Achille Beltrame war in erster Linie Maler. Er wurde in Arzignano in der Provinz Vicenza geboren und war Erbe jener besonderen Meisterschaft in der Farbgebung und Lichtführung, welche die große Venezianische Schule auszeichnet. Er zog nach Mailand und studierte Malerei an der Akademie Brera bei Francesco Hayez (1791-1882) und Giuseppe Bertini (1825-1898).
Er war sein Leben lang Maler, geschickter Freskenmaler und bis zuletzt auch Grafiker und Illustrator für die Zeitschrift Lettura, für Partituren, Postkarten, Plakate und Werbung.
Diese Ausstellung ist der Wiederentdeckung von Achille Beltrame als Maler gewidmet, und zwar dank eines wertvollen Kerns von Gemälden und Zeichnungen, die seine expressive Kraft und die Fähigkeit bezeugen, das Publikum unmittelbar anzusprechen, die eine der Stärken seines fruchtbaren und vielseitigen Schaffens war.
Zu sehen ist eine Reihe von Porträts, Skizzen von seltener Brillanz, Ölgemälden und Aquarellen, die bisher nicht gezeigt oder seit Jahrzehnten nicht mehr ausgestellt wurden, Eines seiner frühesten Werke, Idillio romano (Römische Idylle) von 1891 ist ein Werk von perfekter und makelloser Zeichenkunst, eine Synthese der Lektion über den Mythos, die er an der Akademie bei Hayez und Bertini gelernt hat.
Die Porträts in Pastell oder Öl zeigen hingegen einen intimen Aspekt von Beltrames Werk, fernab vom Lärm der Weltgeschichte. Es handelt sich vor allem um Frauenporträts, die in dem einzigen Selbstporträt, einem Pastell von 1895, vorweggenommen werden. Diese Werke sind introspektiv; die Blicke der Porträtierten wirken fast scheu. Doch gerade diese Arbeiten vermitteln am besten das menschliche Wesen, wobei der Künstler im Hintergrund bleibt. Achille Beltrame war sanftmütig und zurückhaltend und doch eine führende Persönlichkeit seiner Zeit. Vor den Augen der Besucher entfaltet sich eine Vielzahl fantastischer Bilder, auch dank einer sorgfältigen Auswahl der Titelseiten des Domenica del Corriere. Zugleich sind von Beltrame wenige, aber wesentliche Worte überliefert. Er hat sie in einem privaten Tagebuch niedergeschrieben, und sie sind in unserer heutigen Zeit eine Mahnung, niemals den Respekt und die Menschlichkeit aus den Augen zu verlieren:
"Auf dem Papier habe ich Hunderte von Menschen getötet, Städte geplündert, ganze Landstriche verwüstet, ich, der am wenigsten blutrünstige und friedlichste Mensch der Welt"
Die ausgestellten Werke und die Ausgaben des Domenica del Corriere stammen aus Privatsammlungen, was die weite Verbreitung des Werks von Achille Beltrame unter privaten Sammlern bezeugt. Der wichtigste Bestand an Werken ist in der Gemeinde Arzignano (VI) aufbewahrt und dauerhaft ausgestellt.
Organisation und Koordination:
Civico Museo „Parisi Valle“
Kuratiert von:
Federico Crimi
Mit Unterstützung von:
Gemeinde Maccagno mit Pino und Veddasca (VA)
Pro loco Maccagno (VA)
Dank an
Quadreria dell'800, Mailand
Mit Unterstützung der Region Lombardei
ACHILLE BELTRAME
BIOGRAFIE
Achille Beltrame (geb. Arzignano, 19. März 1871, gest. Mailand, 19. Februar 1945) war ein italienischer Illustrator und Maler.
Er war das siebte von acht Kindern des Gerbers Giambattista Beltrame und dessen Frau Teresa Brusarosco. Die Mutter, eine begeisterte Leserin der klassischen Literatur, nannte ihre Kinder nach den Helden der griechischen Mythologie: Achille, Oreste, Ulisse, Antenore, Pilade, Ettore, Argia und Antigone.
Gefördert von der humanistischen Tradition der Familie, zeigte Achille schon früh ein großes Talent zum Zeichnen und wurde vor allem dank der Hilfe seines Bruders Oreste ermutigt, seiner Neigung zu nachzugehen.
Von 1883 bis 1886 besuchte er die Königliche Technische Schule in Vicenza, wo er die „Besondere Auszeichnung im Zeichnen“ erhielt.
Im Herbst 1886 zog er nach Mailand und wohnte dort bei seinem Bruder Oreste, einem Apotheker am Ospedale Maggiore. So konnte sich Achille an der Akademie der Schönen Künste in Brera einschreiben, mit dem Ziel, Maler zu werden. In den Jahren 1889/1890 besuchte er erfolgreich die Schule für Aktzeichnen und wurde dann in die Malklassen von Giuseppe Bertini an der Spezialschule für Malerei aufgenommen. Im Jahr 1890 erhielt er für sein Werk Fracta Virtus den Mylius-Preis und erlangte im Jahr 1892 sein Diplom.
In jenen Jahren verbrachte Achille einige Zeit in Vicenza, wohin die Familie ihr Geschäft und ihren Wohnsitz verlegt hatte. Dort lernte er den Chemiefabrikanten Magno Magni aus Como kennen, der zu einem der wichtigsten Förderer des jungen Künstlers werden sollte.
1893 kehrte Beltrame nach Mailand zurück, wo er wieder bei seinem Bruders Oreste wohnte, und setzte seine erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Brera-Akademie fort. Er erhielt diverse Auszeichnungen und seine Anerkennung bei Kunstkritikern und Publikum wuchs stetig.
Schon im Jahr 1892 war Beltrame zum Ehrenmitglied der angesehenen Mailänder Kunstakademie ernannt worden. 1894 zeigte er ein eigens für die zweite Triennale der Brera geschaffenes Werk, Canova modelliert Maria Magdalena. Für diese Arbeit wurde er mit dem Gavazzi-Preis ausgezeichnet. Leider ging das Bild beim Untergang des Schiffes auf der Atlantiküberquerung verloren, als sein Käufer es in die Vereinigten Staaten bringen wollte. In der Ausstellung ist eine der wenigen Fotografien des verschollenen Werkes zu sehen.
Die wachsende Anerkennung und der Erwerb von Auszeichnungen und Preisen führten schließlich zur Wahl Beltrames zum Berater der Brera-Akademie im Jahr 1985.
1896 reiste er nach Montenegro, um Prinzessin Elena zu porträtieren, die ihre Verlobung mit Vittorio Emanuele von Savoyen bekannt gegeben hatte. Ein Maler aus Triest war ihm jedoch zuvorgekommen und hatte in Cettigne bereits mit der Arbeit am Porträt begonnen.
In Montenegro wurde Beltrame von Eduardo Ximenes, dem Illustrator und Mitbegründer der Wochenzeitschrift L'Illustrazione Italiana, entdeckt, der ihm anbot, Titelseiten des Blattes zu illustrieren. Dies war der Beginn der langen und erfolgreichen Karriere Beltrames als Grafiker.
1897 nahm er mit den Werken Ego sum flos campi und Die Flucht des Nero an der dritten Mailänder Triennale teil. In diesen Werken zeigt sich in Form und Inhalt eine klassische Auffassung, wie sie an der Mailänder Akademie gelehrt wurde. Davon zeugt auch das meisterhafte Präludium von 1891, das in Raum 2 ausgestellt ist.
Zahlreiche weitere allegorische Werke von Beltrame sind leider zum Teil verschwunden, wie La Scienza (Die Wissenschaft), ein Deckengemälde von 1925 im Treppenhaus des Mailänder Serotherapeutischen Instituts, La danza delle Ore (Der Tanz der Stunden) von 1927 an der Decke der Bernocchi-Fabrik in Legnano, L'Aurora o Carro di Febo (Morgenröte oder der Wagen des Phoebus,1928), ein Wandgemälde in Bernocchis Villa Anita in Stresa sowie La Scienza e il Genio dominano le forze (Die Wissenschaft und das Genie beherrschen die Kräfte, 1929), ein weiteres Fresko im Sitz der Adamello-Elektrizitätswerke in Mailand.
Dagegen ist Beltrames eher schmales Werk auf dem Gebiet der sakralen Kunst erhalten geblieben. Das Porträt des Heiligen Gaetano für die Lünette des gleichnamigen Oratoriums am Corso Mazzini in Arzignano, das er in jungen Jahren malte, ist vielleicht seine erste bekannte Talentprobe. Viel später entstand der Heilige Hieronymus in der Wüste, der noch heute in der Sakristei der Kathedrale zu sehen ist; das Werk war ein Geschenk des Künstlers an seine Heimatstadt. Ebenfalls erhalten ist der Heilige Josef mit Kind, ein großes Altarbild, das Beltrame 1914 in Mailand malte und dem Oratorium San Giuseppe in Arzignano schenkte. Diverse Madonnen waren Auftragswerke, die für die private Andacht gemalt wurden. Schließlich wurde auch das bereits erwähnte Ego sum flos campi, ein vom Marienkult inspiriertes Werk, in der Zeitschrift Illustrazione Italiana 1914 als Weihnachtsbild veröffentlicht.
1906 reiste Beltrame in Begleitung von Magno Magni nach Tunesien, um einen Bericht über eine Mine zu schreiben, die der Fabrikant dort gekauft hatte. Dies gab ihm die Gelegenheit, die exotischen Welten näher kennenzulernen, mit denen er die Titelseiten des Domenica del Corriere illustrierte. 1911 gründete er in Mailand - zusammen mit einer großen Gruppe von Künstlern (Paolo Sala, Filippo Carcano, Luigi Rossi, Leonardo Bazzaro und anderen) - den Verein lombardischer Aquarellmaler, für den er seit 1929 auch mehrmals als Präsident amtierte.
Bis Ende der 1930er Jahre widmete Beltrame sich einerseits der Arbeit für die Presse und der Druckgrafik, zum anderen der Malerei. Diese Leidenschaft pflegt er auch im Urlaub an den Seen, in den geliebten Dolomiten und in Ligurien. Davon zeugen seine zahlreichen Ansichten der ligurischen Riviera: Marina con fanciulla e cane (Seestück mit Mädchen und Hund), Riparazione delle reti (Das Flicken der Netze) und La tintura delle reti (Das Färben der Netze), ein kraftvolles Aquarell, mit dem er 1924 an der 14. Biennale von Venedig teilnahm.
1937 zog er für kurze Zeit nach Bergamo, um die Behandlung seiner Frau Giovanna Cocitto, genannt Giannina (geb. 1868 in Udine) zu verfolgen. Sie war seine Jugendliebe noch aus den frühen Jahren in Mailand, wo er sie wohl an der Akademie Brera kennenlernte. Das Paar hatte im Jahr 1907 geheiratet.
Trotz der ärztlichen Bemühungen starb Giannina im Jahr 1938. Der Tod seiner Frau war der Beginn einer schmerzhaften Zeit für Beltrame: im Krieg sollte sein Atelier in der Contrada Garibaldi in Mailand durch einen Bombenangriff zerstört werden.
1941 fand Beltrames erste große Einzelausstellung in den Räumen der Kunstgalerie statt, die Pompeo Ranzani erfolgreich in der Via Brera in Mailand eröffnet hatte.
Am 20. Dezember 1942 verließ Beltrame Mailand und suchte Zuflucht auf dem Land in Bressana Bottarone, südlich von Pavia, um der permanenten Bombardierung Mailands zu entgehen. Doch es folgten Jahre des Bedauerns: „Welch ein Schmerz“, erinnert er sich, „wie traurig, in meinem Alter nicht mehr an dem Ort zu sein, den ich mit solcher Leidenschaft geschaffen habe!“
Die Ausstellung zeigt eine Rekonstruktion des Mailänder Ateliers, das für das Schaffen und die Gefühlswelt des Künstlers so wichtig war, mit originalen Möbelstücken und historischen Fotografien.
In der Wahl seiner Zufluchtsstätte fernab der Mailänder Erinnerungen wurde Beltrame von Clara Fedetto (1912-2011) unterstützt, die ihm in seinen letzten Lebensjahren Modell und Muse war. Die Ausstellung zeigt das ikonische Porträt, das Beltrame ihr in diesen Jahren der Freundschaft und Zuneigung gewidmet hat: Maliarda (1935-1939).
Trotz seines umfangreichen und vielseitigen Schaffens verweigerte man Beltrame 1944 den Titel „Academico d'Italia“, weil er kein Mitglied der faschistischen Partei war.
Am 7. Februar 1945 erkrankte er während eines Spaziergangs. Achille Beltrame starb am 19. Februar 1945 im Haus seines Neffen in Mailand.
RAUM 1
ACHILLE BELTRAME:
EINE SYMPHONIE DER GEFÜHLE
Die Gemälde, Aquarelle und Skizzen in den Räumen 1 und 2 der Ausstellung bieten ein breites Panorama des facettenreichen, vielseitigen Werkes von Beltrame. Sie umfassen eine lange Zeitspanne von den ersten Anfängen des Künstlers bis zu seinen letzten Jahren.
Der Rundgang beginnt mit einem jugendlichen Selbstbildnis in Kreide auf Karton von 1895. Noch im selben Jahr schuf Beltrame ein Pendant dazu – ebenfalls in Kreide - das Giannina gewidmet ist, seiner Jugendliebe und späteren Frau.
Die beiden Porträts wirken innig und vertraut, was durch die Einsatz der Farbkreide noch betont wird. Im Selbstporträt verzichtet der Künstler sogar auf die traditionellen Attribute, das Handwerkszeug (Pinsel und Palette) und überlässt die Aufgabe, biografische und psychologische Details zu vermitteln, ganz der Sprache der Malerei. In der Kopfbedeckung könnte man eine Hommage an Raffael erkennen. Das Brustbild ist nach der Zwei-Drittel-Regel komponiert und zeigt den Künstler mit einem nachdenklichen Ausdruck „von in Schatten und Sanftmut gehüllten Gedanken“ (Luigina Bortolatto). Dabei wendet er das Gesicht dem Betrachter zu, mit dem er in einen intensiven, geheimnisvollen Dialog tritt.
Diese zwei Kreidezeichnungen lassen den Einfluss der lombardischen Malerei mit ihrem besonderen Gespür für Farbe und Sfumato erkennen und sind inspiriert von Giuseppe Carnovali, genannt „il Piccio“, und Daniele Ranzoni.
Noch Jahrzehnte später, um 1921, verwendet Beltrame eine ähnliche Bildsprache, wie in den Ölporträts seiner geliebten Nichte Elena, der Tochter seiner Schwester Antigone: Elena bei Mondlicht (1921) und Elena auf dem Sofa (um 1921).
In kleineren Bild liegt Elena auf einem Sofa, inmitten von Decken und Vorhängen. Die Nichte ist als Halbfigur dargestellt. Das von oben einfallende Licht erhellt ihr Haar, ihr Gesicht liegt jedoch im Schatten. Das Gemälde ist in kalte Farbtöne und metallische Reflexe getaucht, die vom mondartigen Licht auf dem Haar, der Kleidung und dem kostbar bestickten Mieder erzeugt werden. Die eindrucksvolle nächtliche Atmosphäre gab dem Werk auch den Titel: Elena al chiaro di luna (Elena bei Mondlicht). Das Bild nimmt einen herausragenden Platz in der Porträtkunst Beltrames ein.
Dank der Unterstützung von Privatsammlern können in dieser Ausstellung einige bisher nie gezeigte Werke präsentiert werden. Das bedeutendste ist das Ölbild Gesicht eines Modells, ein Werk, das nie auf den Kunstmarkt gelangte. Das Gemälde ist undatiert, ähnelt aber in Stimmung und Komposition dem Bild Elena bei Mondlicht. Das von Mondlicht beleuchtete Modell wird im Profil mit geneigtem Kopf gezeigt; der Blick weicht dem Betrachter aus. Einzigartig ist das quadratische Format der Leinwand (ca. 50 x 50 cm). Kleidung und Frisur des Modells sind im Art-Deko-Stil gestaltet; so kann das Gemälde auf 1920-1925 datiert werden.
Im Gegensatz zu diesen verhaltenen Tönen stehen die vier hervorragenden weiblichen Aktbilder in der Ausstellung. Es handelt sich um eine Bleistiftzeichnung auf Karton (Weiblicher Akt, 1910-1915, nie ausgestellt) und zwei Aquarelle: Donnina, auch bekannt als Orientalischer Akt (1915-1921) und Die Feuerfrau (1915-1920, nie ausgestellt). Begleitet werden sie von der Studie Rückenansicht eines Akts in Rötel, der wahrscheinlich frühesten Zeichnung dieser Reihe (1890-1900, nie ausgestellt).
Beltrame erkundet in diesen Zeichnungen den weiblichen Körper und bewegt sich dabei bewusst auf der Grenze zur erotischen Kunst, was seinen Zeitgenossen nicht entgangen ist. So war Donnina der Entwurf für Werbepostkarten einer neapolitanischen Seifenfirma, der vom Verleger jedoch abgelehnt wurde.
Die Gruppe von Arbeiten lässt erkennen, dass der junge Maler schon in seiner Akademiezeit ein hervorragender Aktzeichner war.
Der Rundgang schließt mit einer Rückkehr in die Sphäre inniger Vertrautheit. Beltrame, der seine Familie verloren hatte und kinderlos geblieben war, erlebte in seinen letzten Lebensjahren heitere Momente mit Clara Fedetto aus Pavia, die auch einer großen Gruppe von Künstlern Modell stand. Das nur selten ausgestellte Porträt Maliarda (1935-1939, Aquarell auf Papier) zählt mit Recht zu den berühmtesten und bekanntesten Werken von Achille Beltrame. Maliarda wurde erstmals 1946 auf der großen Retrospektive in der Galleria Italiana d'Arte in Mailand ausgestellt, ein Jahr nach dem Tod des Künstlers. Wie in Elena bei Mondlicht wird auch in Maliarda mit dem von oben einfallenden Licht gespielt, doch wird die Lichtführung hier eingesetzt, um ein erhabenes, und dennoch fesselndes, ja betörendes Porträt zu schaffen.
Zu sehen ist auch eine Rekonstruktion des Ateliers des Künstlers in der Via Garibaldi, das Beltrame von seinen ersten Mailänder Jahren bis zum Bombenangriff im Jahr 1943 bewohnte. Beim Nachbau konnte auf einige erhaltene Originalstücke zurückgegriffen werden. Die beiden geschnitzten Nussbaumstühle im Stil der Neorenaissance sind auch auf den Fotografien zu sehen. Sie wurden im Jahr 1886 wahrscheinlich in Venedig hergestellt. Auf der Rückenlehne sind die Initialen A.B. eingraviert. Der runde Teppich kommt wohl aus dem Maghreb, ein Erinnerungsstück an die wenigen Reisen des Malers außerhalb Italiens. Auf der Staffelei schließlich steht das Gemälde, das Achille den Erinnerungen der Familie nach immer in seiner Nähe hatte, ein „Porträt“ des Hündchens Fossy (1912, Öl auf Tafel, nie ausgestellt).
Der Atelierrundgang endet mit dem Titelblatt des Domenica del Corriere, das der Schüler Walter Molino seinem Lehrer 1960 widmete. Darauf wird Beltrame nicht zufällig in seinem Atelier inmitten von Erinnerungen, Werken und Skizzen ferner Länder dargestellt.
RAUM 2
DIE ÖFFENTLICHE SEITE
VON ACHILLE BELTRAME
Der zweite Raum zeigt die öffentliche Seite der Malerei von Achille Beltrame. Hier können Besucher die außergewöhnliche Technik bewundern, die den Künstler sowohl in der Öl- wie in der Aquarellmalerei auszeichnete.
Zwei Werke werden aus diesem Anlass erstmalig ausgestellt: Mailänder Garten und Oh! Issa. Das große Präludium war bisher nur einmal zu sehen und zwar auf der Retrospektive von 1996 in Arzignano zum 150. Jahrestag von Beltrames Geburt.
Das Werk Präludium, auch bekannt als Idillio romano (Römisches Idyll, 1891, Öl auf Leinwand), nimmt das Zentrum des Raumes ein. Das Werk entstand noch während Beltrames Studium an der Akademie und wurde auf der ersten Mailänder Triennale ausgestellt. Das gewählte Thema zeugt vom weit verbreiteten Interesse an der Antike, das Ende des 19. Jahrhunderts alle Bereiche der Kunst und des Kunsthandwerks erfasst hatte. Beltrame zeigt jedoch eine gewisse Unsicherheit im Umgang mit der klassischen Philologie. Anstelle eines mythologischen Sujets malt er eine Genreszene, zwei Liebende, die sich umwerben. Der architektonische Hintergrund ist von Gipsabgüssen der Akademie inspiriert, die Friese aus dem Parthenon und anderen griechischen Tempeln nachbilden, die hier willkürlich zusammengestellt sind. Der junge Künstler versuchte in diesem Werk bereits, seinen eigenen Weg zu finden, den Weg einer privaten, poetischen und introspektiven Malerei. Nicht zufällig standen ihm eigene Familienmitglieder für das Liebespaar Modell: Antigone, seine jüngere Schwester, und ihr damaliger Verlobter Attilio.
Die gesamte Komposition ist sehr wirkungsvoll und von ausgezeichneter technischer Ausführung. Davon zeugt der Glanz des Marmors und die Wiedergabe der verschiedenen kostbaren Materialien der handgefertigten Gegenstände aus Holz, Eisen und Terrakotta. Damit zeigt das Bild durchaus die Qualität der großen, berühmten Umbertiner Bühnenbilder von Vittorio Matteo Corcos oder Francesco Paolo Michetti, in denen Moderne und Antike eine Verbindung eingehen.
Der Garten (Öl auf Tafel) ist eines der wenigen Gemälde, die Mailand zum Schauplatz haben. Als Grafiker widmete Beltrame Mailand zahlreiche gedruckte Bilder, insbesondere eine Reihe von Illustrationen, die im Domenica del Corriere erschienen. Berühmt ist die Postkarte zur Einweihung des Simplon-Eisenbahntunnels für die Mailänder Weltausstellung 1906. Dagegen gibt es nur einige Dutzend Gemälde, auf denen die lombardische Hauptstadt dargestellt ist. Die bekannten Werke befinden sich im Mailänder Museum: sechzehn Ölgemälde und Bilder, die Luigi Beretta in Auftrag gegeben hat, darunter auch Verziere (Garten, Öl auf Tafel), das auf ca. 1915 datiert werden kann. Das Bild ist größer als das Exponat in der Ausstellung, bietet aber einen Anhaltspunkt für dessen Datierung.
In dem Werk Oh! Issa... (1936) zieht eine Gruppe von Matrosen ein Fischerboot an Land. Hier erreicht der Künstler wirklich eine hohe Virtuosität in der Aquarelltechnik und großes erzählerisches Geschick im Umgang mit der Dynamik der Szene. Eindrucksvoll dargestellt ist die Anstrengung der Männer am Zugseil. Diese Qualitäten waren so herausragend, dass die Illustrationen vom Domenica del Corriere der Fotografie bevorzugt wurden.
Soldaten im Schnee (1916-17) ist ein Aquarell von gleichem Format und entwickelte sich aus den zahllosen Szenen von Schlachtfeldern, Schützengräben und Kriegen, die der Künstler für die Presse zu illustrieren hatte. Mehr noch als die gedruckten Versionen bezeugt dieses Aquarell Achille Beltrames Meisterschaft in der Darstellung von Schnee, felsigen Gipfeln und tiefen Abgründen des Gebirges.
GALERIE
BELTRAME ALS ILLUSTRATOR FÜR
DEN “DOMENICA DEL CORRIERE”
Wie schon in der Biografie erwähnt, begann Beltrames Karriere als Illustrator, als er im Jahr 1896 zufällig Eduardo Ximenes in Montenegro kennenlernte. Ximenes war beeindruckt von den Darstellungen lokaler Bräuche des jungen Mannes aus Vicenza und beauftragte ihn mit dem Entwurf der Titelseiten für die Illustrazione Italiana, der damals führenden Illustrierten Italiens. Beltrame arbeitete bis 1898 für die Zeitschrift.
Im folgenden Jahr begann er beim Wochenmagazin Domenica del Corriere; es sollte die Arbeit seines Lebens werden. Das neue Blatt wurde von Luigi Albertini, dem damaligen Geschäftsführer des Corriere della Sera, gegründet und erschien erstmalig am 8. Januar 1899 als illustrierte Beilage des Corriere della Sera. Sie war im Großformat gedruckt, hatte zwölf Seiten, wurde kostenlos an die Abonnenten des Corriere verteilt und am Kiosk für 10 Centesimi verkauft.
Der Illustrierte war nicht als Nachrichtenmagazin konzipiert, sondern als „Wochenzeitung der Italiener“, die wie ein Kalender die Freuden, die Katastrophen, die kleinen und großen Begebenheiten aufzeichnete.
Das Besondere an der Zeitschrift waren die zwei Illustrationen pro Ausgabe, jeweils auf der Titelseite und der Rückseite, die von Anfang an Achille Beltrame anvertraut wurden.
Die Vielfalt der Themen, die Beltrame vom Herausgeber Eligio Possenti übertragen wurden, war grenzenlos und kann in dieser Ausstellung nur teilweise dokumentiert werden. Die gezeigten Beispiele sind der Großzügigkeit privater Sammler zu verdanken.
Die 4662 Darstellungen beruhen auf Erfindungen Beltrames und sind in jedem Winkel der Welt angesiedelt. Dies erforderte nicht nur eine lebhafte Fantasie, sondern auch einen fast physischen Kraftakt.
Achille hatte seine eigenen Methoden, um den von der Redaktion vorgegebenen strikten Zeitplan einzuhalten. Er verschlang zum Frühstück zwei gebutterte Eier, bevor er sich an den Arbeitstisch setzte. Wir wissen dies aus der wirklich köstlichen Erzählung von Dino Buzzati, dem ersten Bewunderer von Beltrame, der sich 1967 so an ihn erinnerte:
„Beltrame erschien jeden Montagmorgen in der Redaktion, wo ihm das Thema der ersten Illustration genannt wurde [...] Nach der Besprechung mit dem Chefredakteur von Domenica eilte er in seine Wohnung im Corso Garibaldi, verschlang zwei gebutterte Eier verriegelte dann die Tür [...] und setzte sich an einen hinter Vorhängen verborgenen Schreibtisch, der auch am helllichten Tag von einer Lampe erleuchtet wurde. [...] Dokumentarfotos, Orte, Straßen, Gebäude, Gesichter lagen bereit. Er machte sich an die Arbeit, zunächst mit Bleistift, dann mit mehr oder weniger verdünnter Chinatusche. Beltrame verließ das Büro des Chefredakteurs gegen halb eins, um sieben Uhr nachmittags war er schon wieder zurück, mit seinem fertigen Entwurf, den er in eine Zeitung eingewickelt unter dem Arm trug. Und mit einer Anspannung, die all den Jahren nie nachgelassen hatte, zeigte er ihn dem Chefredakteur. Der sagte daraufhin: ‚Nicht schlecht, nicht schlecht, bravo Beltrame! Sie sind vielversprechend. Das bedeutet, dass wir Ihnen auch die Entwürfe für die nächste Ausgabe anvertrauen werden‘. Und der Illustrator lachte glücklich“.
Schätzungen zufolge erreichte der Domenica del Corriere eine Auflage von mehreren hunderttausend Exemplaren. Nach Beltrame waren insgesamt - neben dem erwähnten Walter Molino - bis zu 350 Illustratoren mit den Grafiken beschäftigt. Die Zeitschrift erschien bis 1989, fast 100 Jahre lang, und wurde von berühmten Redakteuren wie Indro Montanelli und Maurizio Costanzo geleitet.
Der Illustrator Beltrame fand nebenher sogar die Zeit, sich einer schier grenzenlosen Reihe von Arbeiten zu widmen. Er entwarf um die zweihundert Postkarten zu verschiedenen Themen, Plakate und Anzeigen für die verschiedenen Produkte seines Freundes und Förderers Magno Magni. Er war Plakatkünstler für den Musikvertrieb Officine Grafiche Ricordi, gestaltete Werbeplakate und Partituren. Von 1912 bis 1919 entwarf er wiederum für den Corriere della Sera die Titelseiten der Kulturbeilage La Lettura.
Viele von uns haben also vielleicht „einen Beltrame“ zu Hause, ohne es zu wissen, in einer Schrankschublade, zwischen Partituren, Zeitungsausschnitten oder Familienerinnerungen.
Online:
Alberto Lorenzi, Achille Beltrame, Eintrag im Dizionario Biografico degli Italiani (1966);
Achille Beltrame, Eintrag in Wikipedia.
Quellen:
Annalisa Cera, Biographie und Werkverzeichnis in Achille Beltrame. La sapienza del comunicare. Illustrare con la pittura, Electa, Mailand 1996 (Ausstellungskatalog).
L'Agordino di Achille Beltrame, herausgegeben von Luigina Bertolatto, Michele Cau und Bepi Pellegrinon, Comunità montana Agordina, Cornuda 1998 (Ausstellungskatalog).
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